H. Seidemann über die Heinkel He 64

Hans Seidemann in der Festschrift „Kameradschaft der Luft“ anläßlich des 50. Geburtstages von Ernst Heinkel

Es war im Jahre 1932, als die sportliche Fliegerwelt die Nachricht aufhorchen ließ, daß zu dem im Sommer bevorstehenden „Europa-Rundflug“ auch die Heinkel-Flugzeugwerke Flugzeuge nennen würden. War bislang unter dein Zwang der damaligen schwierigen Verhältnisse noch niemals von selten der Heinkelwerke in einem derartigen internationalen Flugwettbewerb eingegriffen worden, so zeigte sich doch schon sehr bald bei den Erprobungen, daß von den Heinkelwerken mit ganzer Kraft ans Werk gegangen wurde.

Nachdem der Entschluß zur Teilnahme feststand, war es Dr. Heinkel in eigener Person, der zusammen mit seinen Mitarbeitern, Oberingenieur Schwärzler, den Brüdern Günther, dem Chefpiloten Junck u. a. immer wieder zur Fertigstellung seiner Wettbewerbsflugzeuge drängte und sich persönlich, trotz mannigfacher anderer Arbeitslast, in vorbildlicher Weise um seine Flugzeuge kümmerte.

Der Erfolg blieb ja dann auch nicht aus. Genial entworfen, versehen mit allen damaligen Neuerungen der Technik und in wochenlanger Erprobung „fit“ gemacht, konnten die Flugzeuge in den international hart umkämpften Wettbewerb gehen.

Als Teilnehmer an dem Europarundflug 1932 auf der Heinkel „He 64″, D-2260, ist es mir wohl im Rahmen dieser Zeilen und zu der Gelegenheit des 50. Geburtstages Dr. Heinkels erlaubt, aus der Erinnerung heraus von den damaligen Zeiten zu plaudern.

Ende April trat ich zum erstenmal in nähere Fühlung mit den Schöpfern der rassigen, leuchtend rot lackierten Maschine, die damals gerade fertiggestellt worden war. Schon rein äußerlich war sie ein ästhetischer Anblick. Aber auch die Leistungen des Flugzeuges mit etwa 250 km die Stunde waren gegenüber dem bisherigen bekannten Leistungsstand so erheblich verbessert, daß man allgemein dem Wettbewerb zufrieden entgegensah.

Einige Wochen später konnte bereits eine längere, ernsthafte Erprobung durchgeführt werden. Die mitreißende Arbeitskraft von Dr. Heinkel machte sich hierbei bemerkbar. Häufig genug bemühte er sich persönlich um den Stand der Dinge, und wenn es sein mußte, auch nachts. Ruhe- und pausenlos wurde das Flugzeug nach den verschiedensten Richtungen hin erprobt. Wochentags und sonntags wurde durchgearbeitet. Und manch einer der alten Garde wird sich mit leichtem Schmunzeln dieser Zeiten erinnern. Da ging die Arbeit fast jede Nacht durch, weil tagsüber ja geflogen wurde und immer wieder etwas zu ändern oder zu bessern war.

D-2260 im Fluge
D-2260 im Fluge

Heitere Zwischenfälle überwogen dabei glücklicherweise bei weitem die ernsten. Was gab es damals für ein Aufsehen bei den Badegästen am Warnemünder Strand, als die „He 64″ beim Langsamflug bei steifem Westwind Dank ihrer Schlitzflügel fast stillstand, in genau so überzeugender Weise, wie es heutzutage neuere Flugzeugmuster tun. Und dann wiederum, wenn die Maschine bei Meßflügen für damalige Verhältnisse ungeheuer schnell vorbeiraste. Wurden doch mit einem nur etwa 150-PS-Argus-Motor fast 250 km die Stunde erzielt. Und großen ärger gab es bei der Badeverwaltung eines Sonntags ganz in der Frühe, als gelegentlich einer Dauer-Erprobung von 5 Uhr an in regelmäßigem Turns alle zehn Minuten die „He 64″über der Stadt erschien und durch ihren Lärm die Ruhe störte. Aber wie nun Abhilfe schaffen? Die Beruhigungsversicherungen, daß der Betriebsstoff bald zu Ende sein würde, wurden Lügen gestraft; denn mit 140 Litern wurde damals 5 ¾ Stunden Lärm über Warnemünde gemacht. Dr. Heinkel schmunzelte, die Verwaltung tobte!

Dann ist mir in Erinnerung, wie das Zusammenklappen und Wiederaufrüsten des Flugzeuges geübt wurde. Die Höchstpunktzahl im Wettbewerb gab es, wenn beides zusammen von nur 2 Personen in längstens einer Minute geschafft wurde.

Es wollte und wollte nicht klappen. Immer wieder war hier noch zu feilen, und dann hakte es wieder dort. jedenfalls war einfach nicht unter eine Minute zu kommen. Auch da wurde es dann doch noch durch Dr. Heinkels Initiative geschafft: er stiftete nämlich für die Besatzung, die die Zeit für diese Prüfung auf unter eine Minute drückte, einen Korb Sekt und für jede Sekunde darunter eine Flasche Wein. Und wie wurde es mit einem Male geschafft! Die beste Besatzung lag sogar zehn Sekunden, die nächste vier Sekunden unter einer Minute. Dr. Heinkel wird der etwas teure Spaß nicht leid getan haben. Und uns Teilnehmer freute einerseits die wirklich gute Leistung und andererseits die feuchte Anerkennung. Und ging mal etwas zu Bruch, so wurde umgehend Abhilfe geschaffen. Kein Vorwurf verleidete die Erprobung; dazu war Dr. Heinkel zu sehr mit der Materie vertraut.

Faltvorgang der Flügel
Faltvorgang der Flügel

Kritisch war es stets bei den Kurzstarts und –landungen, die über eine acht Meter hoch gespannte Leine in ein abgestecktes Zielfeld ausgeführt werden mußten. Da ging jedesmal die ganze zuschauende Belegschaft mit in die Knie, wenn das Flugzeug wie ein „Klavier aus dem vierten Stock“ von oben ins Zielfeld hereinlandete und die starke Beanspruchung das Fahrgestell fast auseinanderbog. Da mag mancher der Konstrukteure gedacht haben : was sind die Piloten doch für rohe Kerle. Aber es klappte. Und nur so erklären sich die guten, durch derartige Erprobungen erhärteten Leistungen im späteren Wettbewerb. Systematisch ging es so weiter. Alle Mann waren beseelt nur von dem einen Gedanken, mitzuhelfen für die Sache. Traten Schwierigkeiten auf, wie sie ja immer und überall auftreten, so gab es nur: ändern, verbessern, weitermachen! Wer aber des Glaubens sein sollte, daß darin eine nach amerikanischem Muster geartete Antreiberei zu erblicken wäre, der irrt sich. Trotz aller großen Anforderungen war Dr. Heinkel all seinen Helfern auch stets eine Hilfe, wenn es galt, sie zu unterstützen.

H64b vor der Halle in Wanemünde

Abends nach getaner Arbeit im gastlichen Hause am Strand von Warnemünde, beim Kegelturnier im zünftigen Anzug und mit dem dazugehörigen „Stoff“, auf dem Kleinkaliberschießstand oder wo es auch sein mochte, war wieder Dr. Heinkel die Seele vom Ganzen, und viel Spaß und Ulk wurde getrieben. Seine Fürsorge für die Gefolgsmänner, sein Mitleben mit ihnen, das sind die Grundlagen für seine Erfolge. So kam der Wettbewerb heran, der in Staaken und von Staaken aus durchgeführt wurde.

Heinkelflugzeuge waren es, die bei allen Einzelprüfungen mit an der Spitze lagen, sei es beim Langsamflug, dem Brennstoffverbrauchsflug, dem Kurzstart und der Kurzlandung über ein Achtmeterhindernis, dem Zusammenklappen der Flügel und was es sonst nach an Prüfungen gab. Dr. Heinkel ließ es sich nicht nehmen, persönlich auch hier überall dabei zu sein und nach dem Rechten zu sehen. Großen Triumph erntete damals die „He 64″ während des Streckenfluges, der in drei Etappen zu je 2500 km und unter Berührung von zahlreichen kleinen Landungsplätzen von Berlin über Warschau-Prag-Wien nach Rom als erste Etappe, von Rom über Florenz-Nizza-Lyon-Stuttgart-Bonn nach Paris als zweite Etappe, von Paris über Amsterdam-Kopenhagen-Göteborg-Hamburg als dritte Etappe zurück nach Berlin führte. Jede Etappe konnte in zwei Tagen nach Belieben zurückgelegt werden. Die meisten Aussichten wurden den Italienern gegeben, unter deren Eindruck auch der Anfang der ersten Etappe stand. Wollten sie doch als erste in ihrer Landeshauptstadt Rom sein. Aber die „He 64″ stieß aus dem hinteren Felde, in welchem sie sich beim Start befand, vor und errang nach einem herrlichen Rennen mit dem italienischen Favoriten Colombo mit erheblichem Vorsprung den Etappensieg. Große Freude bei den Deutschen! Zeigte sich doch nun im harten Wettbewerbskampf des Streckenfluges erst so recht, welche Qualitäten der „rote Teufel“, wie das Flugzeug bald genannt wurde, in sich barg!

Blick aus einem Begleitflugzeug auf dei Heinkel He64
Blick aus einem Begleitflugzeug auf die Heinkel He64

Auch die zweite Etappe wurde mit Bestzeit zurückgelegt. Und vor allem : 2 5 00 km wurden an einem Tage geschafft ! Das war eine bis dahin noch nicht gesehene Leistung eines kleinen Flugzeuges. Unerwartet für alle war die Leistung vollbracht worden. Die Wettbewerbsleitung in Paris hatte bereits abends die Funktionäre nach Hause geschickt, als plötzlich – einige Minuten vor Etappenschlußzeit – bei schon fast völliger Dunkelheit doch noch eine kleine rote Maschine über das Zielband raste – die „He 64″ ! Diese Leistung war wohl mit das Schönste, was das Heinkelflugzeug seinem Erbauer gleichsam als Dank abstatten konnte. Mit einem Male war das Heinkelflugzeug in aller Munde. Die Zeitungen, ganz zu schweigen von den Fachblättern, waren voll des Lobes. Und das geschah zu Recht; denn das Flugzeug war eine Meisterleistung! Und wie zur Erhärtung des soeben Vollbrachten wurde auch die dritte Etappe von Paris nach Berlin mit etwa 2500 km wieder an einem Tag geschafft.

Heinkel gratuliert Seidemann
Heinkel gratuliert Seidemann

So wurde also dieser Blitzflug ein voller Erfolg, und der Begeisterungssturm, der damals am Abend der vom Wettbewerb als erste nach. Staaken heimkehrenden „He 64″ entgegenbrauste, galt nicht zuletzt dem Schöpfer dieses rassigen Musters. Dreimal als erste den Etappensieg in so überlegener Weise errungen zu haben, war der beste Beweis für fliegerische Qualität. Und noch einmal beim Deutschlandflug 1933 bewies die „He 64″ ihre Überlegenheit, als sie die zahlreichen Tagesetappen in verblüffender Geschwindigkeit durchraste und überall als erste eintraf. Und daß sie all diese Flüge ohne Unfall und bei jeder Wetterlage glänzend überstand, stellt ihren Schöpfern das beste Zeugnis aus.

Daß Dr. Heinkel dann später, wohl aus anderen gewichtigeren Gründen, sich nicht mehr mit seinen nun wohlbekannten und anerkannten Flugzeugen an internationalen Wettbewerben beteiligt hat, ist von allen Sportfliegern sehr bedauert worden. Wie die Erzeugnisse der Heinkelwerke in der Sportfliegerei sich einen hervorragenden Ruf zu verschaffen gewußt haben, so ist es ja früher und später auch mit allen Verkehrs- und Militärflugzeugen der Firma der Fall gewesen. Überall wo sie auftraten, haben sie die größte Beachtung auf sich gezogen und haben durch ihre Qualität das Werk Dr. Heinkels geehrt. Aus dem kleinen Werk in Warnemünde sind inzwischen Fabriken geworden. Die Gefolgschaft hat einen Umfang angenommen, der ein Vielfaches größer ist, als die Zahl der damaligen Getreuen Dr. Heinkels.

Heinkel-Team
Die Mitarbeiter: Meister Borchert, Ing. Köhler, Meister Kramer

Diese tun sich selbst die größte Ehre an, wenn sie stolz sind auf das, was seinerzeit unter sehr schwierigen Verhältnissen geschaffen wurde. Alle, die mit Zeuge dieser sportlichen Taten von Heinkelflugzeugen gewesen sind, werden ebenso gern sich der damaligen Mitarbeit erinnern. Daraus ergibt sich auch der Stolz und die Leistung aller, die heutzutage unter der Leitung eines Mannes stehen, dessen Leben aus der Geschichte und Entwicklung der Luftfahrt nicht mehr wegzudenken ist. Der 50. Geburtstag Dr. Heinkels soll aber nicht nur Anlaß eines Rückblicks sein. Unter den günstigsten Aussichten steht auch die Zukunft Dr. Heinkels und seines Werks. Da begleiten Dr. Heinkel alle unsere guten Wünsche in die Zukunft in der Hoffnung, daß es seinem Wirken auch fernerhin gelingen möge, Großes und Bleibendes für die deutsche Luftfahrt zu schaffen.